Die Rezeption der Rettungsaktion „Weiße Busse“ und die ungleiche Verteilung von Ruhm und Ehre

Neulich wurde ich aufmerksam auf einen interessanten Vergleich zwischen Schweden und der Schweiz des Schweizer Historikers Thomas Maissen[i]. Es betrifft die Beurteilung der humanitären Leistungen beider Länder während des Zweiten Weltkrieges, wobei auch die Rettungsaktion „Weiße Busse“ genannt wird.

Meine Untersuchung befasst sich hauptsächlich mit dem Ablauf der Rettungsaktion von Ravensbrück und Hamburg nach Schweden und so fehlt im Quellenverzeichnis meines Berichts der Name von Izabela A. Dahl, einer Lektorin der Universität Örebros, die mehrere Beiträge[ii] zum Thema Rezeption der Rettungsaktion „Weiße Busse“ verfasste. Interessanter Weise stimmt das Ergebnis meiner Untersuchung mit der Kritik von A. Dahl überein. Auch ich habe mich gewundert über das Ausmaß der Anerkennung von Folke Bernadotte, dem schwedischen Vizepräsidenten des Schwedischen Roten Kreuzes. A. Dahl spricht sogar von „Legendenbildung“.

Thomas Maissen veröffentlichte einen Aufsatz mit dem Untertitel „Aspekte eines Vergleichs zwischen Schweden und der Schweiz während des 2. Weltkriegs“. Obwohl der Beitrag nur beiläufig die Rettungsaktion „Weiße Busse“ erwähnt, erklärt er einiges darüber, warum die Schweden viel und die Schweizer wenig Lob für ihre Rettungsaktionen ernteten. Schon am Anfang meiner Untersuchung musste ich feststellen, dass die Niederländerinnen gar nicht in „Weißen Bussen“ der Schweden Ravensbrück verließen, sondern in Lastwagen des in Genf ansässigen IRK (Internationales Rotes Kreuz). Die Rettungsaktionen aller nichtschwedischen Teilnehmer sind bisher zu wenig in Erscheinung getreten. Am wenigsten jedoch die des IRK und die der Schweizer. Dabei gibt es umfangreiches Archivmaterial über die Hilfe des IRK an KZ-Häftlingen.

Nach Professor Maissen hatte Schweden nach dem 2. Weltkrieg einen besseren Draht zu den Ländern der westlichen Alliierten als die Schweiz. In den letzten Monaten orientierte sich Schweden zugunsten der Westalliierten um. In den Schulen wurde z.B. Deutsch als erste Fremdsprache durch Englisch abgelöst. Eine ähnliche Entwicklung fand in der Schweiz nicht statt. Die rühmenswerten Tatsachen schafften es nicht über die Schweizer Grenze.

Zitat Maissen: “Erst um 1990 folgen die Biographien und Rehabilitationen Louis Haefligers, der Zehntausende im KZ Mauthausen rettete, der Polizeikommandanten Paul Grüninger, der in St. Gallen 1938 geheime Grenzübertritte von Flüchtlingen deckte, des engagierten Journalisten der „Nation“, Peter Surava. Am auffälligsten kontrastiert das spätere Schicksal von Carl Lutz und von Raoul Wallenberg, die 1944 gemeinsam und mit ähnlichen Methoden, durch kollektive Schutzpässe, in Budapest Zehntausenden von Juden das Leben retten. Lutz wird für seine Kompetenzüberschreitung gemaßregelt, die Leistungen des zurückgekehrten Diplomaten interessieren in Bern niemanden. Stockholm beansprucht dagegen den Spross aus der keineswegs deutschfeindlichen Industriellenfamilie Wallenberg als humanitären Botschafter Schwedens.“ Ende des Zitats. Nachher, so schreibt Maissen, bekommt das United Holocaust Memorial Museum in Washington als Adresse „Raoul Wallenberg Place 100“.

Ruhm und Ehre scheinen gewissermaßen dem Zufall überlassen. Ruhm kann man sich außerdem erschleichen. Ein krasses Beispiel dazu bietet Felix Kersten, der Masseur Himmlers. Damit war er besonders erfolgreich in den Niederlanden, die ihm zwei hohe Auszeichnungen verliehen und ihn sogar für den Nobel Friedenspreis nominierten.

[i] Vom Umgang mit Deutschland – und mit der eigenen Geschichte. Aspekte eines Vergleichs zwischen Schweden und der Schweiz während des Zweiten Weltkriegs, in: Eva Lindgren/Renate Walder (Hg.), Schweden, die Schweiz und der Zweite Weltkrieg. Beiträge zum interdisziplinären Symposium des Zentrums für Schweizerstudien an der Universität Örebro, 30.09.-02.10.1999, Bern et al. 2001, S. 11-31.

 

[ii] Dahl, I. A. (2015). Kurz vor Schluss: Die Rettungsaktion ‚Weiße Busse‘. In: Paul, Gerhard; Schwensen, Broder, Mai ’45. Kriegsende in Flensburg (pp. 32-41). Flensburg: Gesellschaft für Flensburger Stadtgeschichte eV.

Dahl, I. A. (2012). Rezeption der Aktion „Weiße Busse“ in Deutschland. In: Oliver von Wrochem, Skandinavien im Zweiten Weltkrieg und die Rettungsaktion Weiße Busse: Ereignisse und Erinnerung (pp. 182-198). Berlin: Metropol Verlag.

Dahl, I. A. (2008). Die „Weißen Busse“ und Folke Bernadotte: Zur Rezeption der Hilfsaktion in Deutschland und Skandinavien. In: Wolfgang Benz & Barbara Distel, KZ und Nachwelt: Dachauer Hefte.